Zu Gast im Zunfthaus zur Meisen
Das Zunfthaus zur Meisen wurde 2018 eingehend renoviert und dient der Zunft für alle ihre Anlässe und kann auch von Nichtzünftern für Veranstaltungen genutzt werden.
Für mehr Informationen und Reservationsanfragen kontaktieren Sie bitte direkt die Zunftwirtschaft.
Zunfthaus zur Meisen, kurz vor der Montage der Balkongitter und des schmiedeisernen Tores. Johann Caspar Ulinger, 1755.
Gelebte Tradition
Kultur und Gastfreundschaft haben im Zunfthaus zur Meisen Tradition. Essen und Trinken sind aufs Engste mit der Weinleute-Zunft verbunden. 1757 bezog die 1336 gegründete Zunft, der als wichtigste Gewerbe Wirte, Maler und Sattler angehörten, an einem der besten Plätze Zürichs ihr neues Zunfthaus. Da wurden Geschäfte besprochen und politische Pläne geschmiedet. Abends trafen sich die Zünfter beim Stubenwirt oder der Stubenfrau zu einem Schlummertrunk. Am wichtigsten waren jedoch die Zunftversammlungen, die meist mit einem üppigen Essen verbunden waren.
Die Zünfte hatten in Zürich eine Stellung erreicht wie an kaum einem anderen Ort. Sie waren die Säulen des Stadtstaates. Ihre Vorsteher bildeten die Regierung, und ein grosser Teil der Verwaltungsaufgaben wurde von den Zünftern wahrgenommen. Die Zeit, während der das Zunfthaus zur Meisen staatlichen Aufgaben diente, war allerdings von kurzer Dauer. 1798 wurden mit dem Untergang des Ancien Régime die Zünfte abgeschafft.
Kultur und Gastfreundschaft lebten und leben im Zunfthaus zur Meisen jedoch fort. Die Zunft der Weinleute, die sich als Gesellschaft bereits 1801 neu formierte, führt die Gastwirtschaft bis heute weiter. Anstelle des Stubenwirts und der Stubenfrau kümmern sich Zunftwirt und Zunftwirtin um das kulinarische Wohl der Gäste. Die Bezeichnungen haben sich geändert, geblieben ist die besondere Atmosphäre, die das Alte Zürich mit der Weltstadt von heute verbindet.
Warme Küche – nur im Zunfthaus zur Meisen
Abgesehen von den Zunftanlässen durften früher in den Zunfthäusern nur kalte Speisen aufgetischt werden. Allein der Stubenwirt der Meisen besass das Privileg, für seine Gäste kochen zu dürfen. Am 6. Dezember 1788 verklagte die Zunft zur Meisen deshalb den Stubenwirt der Zunft zur Schiff euten. Natürlich war dieser nicht der Einzige, der versuchte, seinen Zünftern warme Speisen anzubieten. Die Meisen-Wirte klagten ihr Vorrecht jedoch immer wieder erfolgreich ein – mit einer Ausnahme: Der Stubenwirt der Müller hatte sich 1533 in die Zunft zur Meisen eingekauft und gab nun seinen Zünftern ebenfalls warme Speisen ab. Die Meisen-Wirte gelangten deshalb an den Zürcher Rat. Dieser entschied, sie seien selber schuld, sie hätten ja den Stubenwirt der Müller nicht aufnehmen müssen. Die Meisen-Zünfter zogen ihre Lehren daraus und nahmen von da an keine Stubenwirte mehr in ihre Reihen auf. Wer also warm essen wollte, musste in ein Wirtshaus gehen oder in der Meisen einkehren.
Guter Service – gutes Essen
Am 3. Dezember 1727 – so nachzulesen im Protokoll – traf sich die Vorsteherschaft im Zunfthaus zur Meisen, damals noch an der Marktgasse. Zur Diskussion stand das Zunftessen, ein Lieblingsthema der Zünfter. Der Meistertag, an dem der Zunftmeister gewählt wurde, stand vor der Tür, und die Zünfter wünschten einen besseren Service. Ausserdem verlangten
sie Pasteten statt des gekochten Fleisches, denn Pasteten waren in Mode gekommen. Es hatte sich sogar ein neuer Berufszweig gebildet, jener der Pastetenbäcker. Diese hatten ein Jahr zuvor angefragt, ob man ihren Berufsstand nicht in die Zunft aufnehmen wolle. Den Meisen-Wirten passte dies nicht. Sie fürchteten neue Konkurrenz. Gegen Pasteten am Zunft essen war jedoch nichts einzuwenden, und so wurde das gewünschte Gericht auf den Menüplan gesetzt. Mehr zu reden gab die Klage der «gemeinen» Zünfter über den schlechten Service, für den die Jungzünfter verantwortlich waren. Nach einigem Hin und Her beschloss die Vorsteherschaft, am kommenden Meistertag für besseres Servicepersonal zu sorgen. Letztlich wusste man nie, ob die einfachen Zünfter einen politisch brisanten Antrag stellen würden. Da war es ratsam, sie nicht mit schlechter Bedienung zu verärgern.
«B’haltis» – Zürcher Brauch oder «Doggy Bag» im Rokoko
Als «Doggy Bag» wird heute die Tüte für die Reste einer Mahlzeit bezeichnet, in der die nicht konsumierten Speisen nach Hause mitgenommen werden. Solche «B’haltis» waren in der Zunft zur Meisen schon früher gang und gäbe. Der bei der Meisen zünftige Obmann Johann Heinrich Füssli überlieferte um 1770, dass gegen Ende der Zunftessen ein seltsames Geräusch aufgekommen sei: «Ein Gehilfe des Stubenmeisters erschien, der jedem Gast zwei grosse Regalbogen Packpapier austeilte, worin jeder mit ausnehmender Geschwindigkeit und mathematischem Geschick seinen Kram einwickelte. Einige schoben sogar ihren Fisch mit ein, nachdem sie ihn durchs Maul gezogen, damit ja nichts durch die Ausdünstung bis auf den folgenden Morgen verloren ging.» Der Moralist Füssli kritisierte die unglaublichen Mengen, die bei den Zunftessen aufgetischt wurden. Zudem war ihm das ausgelassene, oft übermässige Trinken ein Dorn im Auge. Der Brisanz seiner Kritik war er sich durchaus bewusst, denn in Zürich besassen die Zunftanlässe einen hohen politischen Stellenwert. Er publizierte seine Beanstandungen daher unter einem Pseudonym.
Wenn man bedenkt, dass bei einem Zunftanlass pro Gast bis zu einem Wochenlohn eines Handwerkers ausgegeben wurde, so kann man ermessen, welche Bedeutung die «B’haltis» für die ärmeren Zünfter hatten. Ausserdem trugen die Anlässe viel zum sozialen Ausgleich bei. Beim Zunftessen waren alle gleich.
Zünftige Portionen
Zünftig war nicht nur der Rahmen der Anlässe, an denen die Bürgerschaft mehrmals im Jahr über die sozialen Unterschiede hinweg zusammensass. Zünftig waren auch, wie bereits erwähnt, die Mengen, die aufgetragen wurden. Jakob Irminger, ein Weggen-Zünfter, notierte, was anlässlich seiner Wahl zum Zunftmeister pro Person aufgetischt wurde:
1,5 Liter Wein,
1 Pfund Brot,
5 Pfund Kalbfeisch,
2 Pfund saures Schweinefeisch,
900 Gramm Fleisch vom Wildschwein,
900 Gramm Rehfeisch,
ein Siebtel von einem Hasen,
ein Achtel einer Zunge,
ein halbes Pfund Forellen, zwei Würste,
ein Drittel einer Pastete,
dazu Sauerkraut und Randensalat,
zum Nachtisch eine halbe Torte,
Apfelküechli, Offeten und Hüppen.
Ein Gläschen in Ehren, kann niemand verwehren
Das sagt sich so leicht daher. Wer im Alten Zürich lebte, wusste, dass es auch anders sein konnte. Die Obrigkeit setzte alles daran, fremde Weine von den Zürcher Kehlen fernzu halten, und die Zürcher und Zürcherinnen mussten in den sauren Apfel beissen. Wie schlimm es mit dem Zürcher Wein bestellt war, zeigt ein Gesetzesentwurf. Da die Gäste der Regierung den sauren Wein stehen liessen, beabsichtigte der Rat für diese eine Ausnahme zu machen, getraute sich dann aber nicht, das Vorhaben umzusetzen. So oder so blieb es schwer, den Leuten den sauren Wein schmackhaft zu machen. Die Kontrollen des Rats brachten es jeweils an den Tag: Fast jeder Wirt lagerte ein Fässlein Elsässer oder Veltliner in seinem Keller. Und da selbst die Zunft zur Meisen hie und da ein verbotenes Fläschlein auftischte, änderte sich auch nicht viel daran. Vielleicht dachten sich einige Meisen-Zünfter: Steter Tropfen höhlt den Stein...
Gemeinsam essen, gemeinsam zahlen
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wunderte sich der Reiseschriftsteller Sigmund von Herberstein, dass in den Zürcher Zunfthäusern nicht einzeln bezahlt wurde, sondern dass alle denselben Betrag auf einen Teller legten, unabhängig davon, ob sie viel oder wenig konsumiert hatten. Das Teilen der Ürte, wie man die Zeche früher nannte, geht ins Mittelalter zurück. Damals schlossen sich die Handwerker in «Ürtengemeinschaften» zusammen, um sich bei geselligem Trunk zu besprechen. Das Teilen der Ürte machte deutlich, dass alle gleichwertig zur Gesellschaft gehörten. Diesen Brauch behielten die Zünfte bis 1798 bei. Selbst wenn eine Mahlzeit von der Zunft bezahlt wurde, zog der Stubenwirt vom unbegüterten Handwerker bis zum reichen Kaufmann einen symbolischen Betrag ein, zum Zeichen, dass alle gleichgestellt seien – oder wenigstens fast alle, denn unter gewissen Umständen wich die Zunft zur Meisen von dieser Regel ab. Wenn nämlich Frauen an den Mahlzeiten teilnahmen, hatten sie nur die Hälfte der Ürte zu entrichten, da sie erfahrungs gemäss weniger assen als die Männer.
Heisse Köpfe – kalte Würste
Hitzig ging es im Winter 1788 im Zunfthaus zur Meisen zu. Am Meistertag vom 6. Dezember baten die Wirte die Zunftvorsteher, zwei Bratwurster zu bestrafen, weil diese gebratene Würste verkauft hatten. Für die Bratwurster aus der Zunft zum Widder stand viel auf dem Spiel. Da die Zahl der Schlachtbänke begrenzt war, mussten sie sich als überzählige Metzger mit der Herstellung von Würsten begnügen. Es war ihnen willkommen, dass sich immer mehr Leute anstelle von teurem Käse mit Bratwürsten verpflegten. Und jetzt, da das Geschäft so richtig lief, wollten ihnen die Wirte das Braten verbieten.
Die beiden Bratwurster Koller und Locher wehrten sich: Erstens gebe es kein solches Verbot ausserhalb der Zünfte, weshalb sie die Würste ihrer Meinung nach so verkaufen durften, wie sie wollten. Zweitens seien die rohen Würste nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter schlecht haltbar. Daher könne man sie nur gebraten oder gesotten verkaufen. Das Bratverbot bedrohe ihre Existenz. Und zudem würden auch die Kuttler ihre Ware gesotten verkaufen. Die Gegenseite argumentierte, gestützt auf mehrere Ratsurteile, dass ausschliesslich die Wirte gekochte und gebratene Speisen anbieten dürften. Die Bratwurster hätten eben Pech gehabt, wenn sie bei warmer Witterung zu viele Würste herstellten. Der Vergleich mit den Kuttlern sei unstatthaft. Jedermann wisse, dass Kutteln nur durch Sieden gereinigt werden könnten. Zunftmeister Fries und die Vorsteher der Meisenzunft wiesen schliesslich die Bratwurster ab und verpfichteten sie, die Busse von zehn Pfund zu bezahlen. Das entsprach etwa einem halben Monatslohn. Den Bratwurstern blieben heisse Köpfe und kalte Würste und die Zürcher und Zürcherinnen mussten für ihre gebratene Wurst weiterhin bei den Wirten der Zunft zur Meisen einkehren.
«den rychen als den armen und den armen als den rychen»
Viel zu reden gab jeweils die Einstellung eines neuen Stubenwirts, denn von ihm hing das kulinarische Wohl der Zunft ab. Die Zünfter verbrachten einen grossen Teil ihrer Freizeit im Zunfthaus. Vom einfachen Sattler bis zum wohlhabenden Kleinrat verkehrten hier alle Schichten. Die Stubenordnung der Zunft zur Meisen schrieb deshalb vor, dass der Stubenwirt «den rychen als den armen und den armen als den rychen» bedienen musste. Öfters wurde das Amt von Frauen ausgeübt. So wirkten zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der Meisen Elsbeth Murer und Anna Kölliker als Stubenfrauen. Als Elsbeth Murer 1727 starb, musste die Zunft auch eine Bleibe für die bereits 94-jährige Anna Kölliker suchen. Eigentlich wollte man sie bei ihren Angehörigen unterbringen. Diese schützten jedoch vor, sie hätten keinen Platz. So entschloss sich die Zunft, Anna Kölliker weiterhin im Zunfthaus wohnen zu lassen, worauf sich die Angehörigen – «nit ohne Tränen», wie es im Protokoll heisst – bei der Meisen bedankten.
Zürich tickt nach der Meisen
Das Jahrhundert der Aufklärung näherte sich seiner Mitte. In Amerika prägte Benjamin Franklin den Begriff «time is money», und in der Limmatstadt gründeten einige fortschrittlich gesinnte Männer die Naturforschende Gesellschaft. Auch die Zunft zur Meisen erkannte die Zeichen der Zeit. Beim Bau des neuen Zunfthauses setzte sie alles daran, die Naturforschende Gesellschaft als Mieterin zu gewinnen. Zu diesem Zweck nahm sie nicht nur höhere Kosten in Kauf, sondern wich vom ursprünglichen Bauplan ab. Selbst der Einrichtung eines Laboratoriums stimmte sie zu, obwohl es einigen Zünftern beim Gedanken an die chemischen Versuche nicht ganz geheuer war. Unter dem Dach wurde die erste Sternwarte der Schweiz eingerichtet, mit Folgen für die Zürcher und Zürcherinnen. Die Naturforschende Gesellschaft berechnete nämlich anhand des Sternbildes die exakte Zeit, um das Ärgernis aus der Welt zu schaffen, dass jede Zürcher Kirche eine andere Zeit anzeigte. Einmal pro Woche mussten die Sigristen die «Zeit in der Meisen abholen». Noch im 19. Jahrhundert stand im Erdgeschoss in einem Fenster der Meisen die sogenannte «behördliche Normaluhr», nach der jeder Passant seine Uhr richten konnte. Zürich tickte nach der Meisen.